Die Farben des Traums
Im Traumdiskurs der Moderne, in dem Traumnotate und Traumzeichnungen, philosophische Traktate, ästhetische Programme und psychologische Abhandlungen sich vermengen und zueinander in Widerstreit treten, kam der Farbe lange Zeit eine nur nachgeordnete Rolle zu. Obwohl sich bereits in den antiken Traumbüchern des Artemidor von Daldis Hinweise auf farbliche Ausgestaltung bestimmter Traumbilder finden lassen, fand die Farbe in den Symbollexika kaum Berücksichtigung, ebensowenig richtete die psychoanalytische Deutung der Traumarbeit durch Verdichtung und Verschiebung ihre Aufmerksamkeit auf die farblichen Aspekte der Rätselbilder des Traums. Erst ab den 1940er Jahren gewann die Problematik der Farbwahrnehmung im Traum allmählich an Interesse, das Phänomen wurde in der experimentellen Traumforschung jedoch vor allem vor dem Hintergrund des Farbigwerdens der durch die Fotografie, den Film und insbesondere das Fernsehen evozierten Medienwirklichkeiten betrachtet. Trotz der eigentümlichen Trägheit dieses vielschichtig verlaufenden Prozesses der Colorisierung werden hier sogar Periodisierungen in eine schwarzweiße und in eine farbige Medienära vorgenommen, die Veränderungen in der Farbwahrnehmung im Traum erklären sollen. Mit der für die Konzeptualisierung des Phänomens Traum folgenreichen Fokussierung auf die technischen Bildmedien werden jedoch Hinweise auf Farbträume übersehen, die diesem Erklärungsansatz entgegenstehen. Diese Lücke versucht das Teilprojekt zu schließen, indem es sich einem eindrücklichen und zugleich auch verstörenden Dokument dieser anderen Traumerfahrung widmet. In seinem Essai „Lazare parmi nous“ (1950) stellt der Autor Jean Cayrol, Überlebender des KZ Mauthausen, eine Typologie der „konzentrationären Träume“ der lebend-toten Häftlinge zusammen, in der sich wiederholende Träume von Farbe ein besonderes Kapitel darstellten. Diesen Formen der „Entstaltung des Gestalteten“ (Benjamin) wird in unterschiedlichen Richtungen nachgegangen, sie werden zum einen in phänomenologischer Perspektive als Phantasievorstellung untersucht und zum anderen zu zeitgenössischen ästhetischen Farbtheorien in Bezug gestellt.