IV Unbewusstes Wissen und das ästhetische Unbewusste
5. - 7. April 2019
Grafik: Antoine Rault auf Unsplash.com
Im Zentrum des vierten Netzwerkstreffens vom 5.-7. April 2019 im Hamburger Warburghaus stand die Untersuchung unterschiedlicher Formen des Unbewussten als spezifische Instanzen der Produktion eines Anderen Wissens. Dabei wurde mit Jacques Lacan von der Annahme ausgegangen, dass unbewusste Strukturen nicht nur und nicht in erster Linie an Individuen, ihre Körper und ihre Symptome gebunden sind, sondern vielmehr in gesellschaftlichen, sprachlich und technologisch vermittelten Zusammenhängen zum Austrag kommen, in deren Gefüge Individuen verwoben sind, als Elemente unter anderen Elementen.
Das sogenannte „Unbewusste“ soll mithin nicht als Substanzbegriff begriffen, sondern in lacanscher Weise als Funktion verstanden sein. In formaler Betrachtung kann das Unbewusste als Kollektivsingular gelten. Stellen wir es uns als ein Bündel von Faktoren vor, die ein Feld von Erscheinungen strukturieren, von dem sie selbst radikal abwesend sind, ein Bündel von Faktoren zumal, die sich nur experimentell – im epistemologischen wie im ästhetischen Sinne – rekonstruieren, nie aber direkt zeigen lassen. Mit dieser Definition sind bereits wichtige Bezüge zur Möglichkeit eines Anderen Wissens gegeben, die im Rahmen dieses Netzwerktreffens systematisch erforscht werden:
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Das Unbewusste zeigt sich als eine operative Instanz innerhalb von Gefügen, deren Anspruch, ja deren Forderung es ist, „gewusst“ oder verstanden zu werden, sei es in praktischer oder in theoretischer Hinsicht.
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Das Unbewusste erscheint als eine situative Macht, die sich je nach Umständen anders gestaltet.
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Damit zusammenhängend weist das Unbewusste eine mediale Dimension auf. Seine je spezifischen Formen sind an die Medien gebunden, die es realisieren. Als „Medien“ können technische Medien im engeren Sinne fungieren. Aber auch ästhetische Verfahren, biologische Körper oder gesellschaftliche Ordnungen sind Medien des Unbewussten.
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Das Unbewusste fordert eine zugleich praktische, theoretische und affektive Arbeit der Deutung oder Interpretation, die ihrerseits operativen Charakter hat, indem sie die Gefüge, die verstanden werden sollen, rearrangiert. Das Unbewusste birgt somit die Möglichkeit der Therapie, ob man diese nun als revolutionäres Geschehen, als Fügung ins Unvermeidliche oder sonstwie begreifen will.
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Das Unbewusste konstituiert und defiguriert Individuen, es erzeugt ihre relative Kohärenz und stellt sie zugleich in Frage, es verbindet sie untereinander und mit den sie umgebenden Milieus, ebenso wie es jene Bindungen bedroht und löst.
© Sophia Wagener
In seinem erstmals 2001 erschienenen Essay L’inconscient esthétique (dt. Das ästhetische Unbewußte, Zürich/Berlin 2006) konstatiert Jacques Rancière eine unauflösliche Verbindung zwischen den Konzepten des Unbewussten und des Ästhetischen seit dem späten 18. Jahrhundert. Beide, so Rancière, kündeten von „einer bestimmten Art von Präsenz des Denkens in der sinnlich spürbaren Materialität“ (S. 8), von einem „Denken dessen, was nicht denkt“ (S. 10). Zugleich weist er nach, dass der Begriff der Ästhetik schon bei Alexander Gottlieb Baumgarten und a fortiori im Deutschen Idealismus nicht nur ein Nachdenken über Kunst meinte, sondern ein besonderes Denken, „das von den Kunstwerken ausgeführt wird“ (ebd.).
Auch wenn der in Rancières Diagnose aufgerufene Idealismus nur noch bedingt trägt, ist die Vorstellung einer privilegierten Beziehung des Kunstfeldes zum Unbewussten immer noch wirksam. Waren es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem individualpsychologische und ideologiekritische Aspekte, die im Zentrum künstlerischer Aufmerksamkeit standen, so sind es heute nicht selten Formen psychoanalytischer Therapie, die ästhetisch anschlussfähig scheinen. Deren experimentelle Aneignung in einem sich transformierenden Kunstfeld unter Vorzeichen des Performativen scheint die Wiedergewinnung von individuellen Handlungsmöglichkeiten ebenso zu versprechen wie die Bildung neuer, flexibler Kollektive, welche den Zerfall der klassisch bürgerlichen, zugleich affektiven und symbolischen Familienbindungen in einer globalisierten neoliberalen Welt zumindest kurzfristig supplementieren.
© Sophia Wagener